Verfasst von: dora | März 26, 2010

Willkür vs. Rechtsstaat

Im Menschenrechtsbericht der USA aus dem letzten Jahr 2009 findet sich nach langem mal wieder ein beschämender Eintrag bezüglich Deutschlands.
„[O]n April 20, in Regensburg, Bavaria, police killed 24-year-old Tennessee Eisenberg“ steht da in der Kategorie ‚Arbitrary or Unlawful Deprivation of Life‘, also Willkürlicher oder ungesetzlicher Lebensentzug. (Link zum Bericht)

Was genau an diesem Tag in der Regensburger Wohnung vofiel, wird man nicht so leicht herausfinden können. Doch die Sache hat einen seltsamen Geschmack. Es steht Aussage der Staatsanwaltschaft gegen die Aussage der privat hinzugezogenen Anwälte. Die Polizeisprecher und in Folge dessen auch die Staatsanwaltschaft ist fest davon überzeugt, dass eine Notwehr-Situation vorhanden war und der nur mit einem Messer bewaffnete Student zu Recht durch zwei volle Magazine daran gehindert wurde einen Polizisten anzugreifen.
Da solch ein aggressives Verhalten für alle die Tennessee kannten sehr seltsam erscheint, weil er eine sehr ruhige und nachdenkliche Persönlichkeit war, konnte sich keiner den von der Polizei genannten Tathergang vorstellen. Und siehe da: Das extern in Auftrag gegebene Gutachten kommt zu völlig anderen Schlüssen.
Die Widersprüche sind zahlreich:
Die Staatsanwaltschaft behauptet, es wäre zuvor mit Pfefferspray und Schlagstöcken versucht worden, den 24-jährigen an weiteren Aktionen zu hindern. Dagegen die Anwälte der Angehörigen finden bei einer zweiten nachträglichen Obduktion nur Spuren von Pfefferspray am Rand des T-Shirts, weit weg von den Schleimhäuten und keinerlei Hämatome oder Hautabschürfungen durch Schlagstöcke am bewaffneten Arm.
Von Seiten der Rechtsstaatlichkeit heißt es, gegen Ende des Einsatzes sei Tennessee in kurzem Abstand zu einem der Polizisten nach wie vor mit dem Messer bewaffnet in einer Position gestanden, in der nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Polizist – zusätzlich in eine Ecke gedrängt – verletzt wird. Allerdings wird hier nicht beachtet, dass der tatsächliche Abstand zwischen 2,5 und 3,5 Meter Betrug und zu diesem Zeitpunkt schon durch Arme und Beine zahlreiche nicht tödliche Schüsse gingen. Tennessee war am 20. April letzten Jahres anscheinend in einer Zeit des Fastens und daher abgemagert. Es kann mir keiner weiß machen, dass ein geschwächter Mensch, der des Stehens aufgrund der Durchschüsse kaum mehr mächtig ist, mit einem einfachen Küchenmesser noch eine ernsthafte Gefahr für einen Polizisten darstellt. Und sogar wenn diese Gefahr bestünde, können sich drei Polizisten in einem Raum gegen diesen einen geschwächten Studenten sicher anders helfen als ihm noch vier mal tödlich in die Brust zu schießen.
Ja, die Polizisten waren hier in einer Ausnahmesituation, die in keiner Übung wirklich gut nachgestellt werden kann. Und vermutlich neigt man einfach in einer Situation die einen Überfordert einfach dann dazu, sein Magazin leer zu schießen. In einer wirklich gefährlichen Situation mit einem unkontrollierbaren Aggressor ist sowas durchaus nachvollziehbar. Wer aber Tennessee kennt, wird Probleme damit haben.
Um sich die Situation damals noch einmal besser vorstellen zu können um eventuell erst die Absurdität der Argumentation seitens der Staatsanwaltschaft zu verstehen hier ein relativ ausführlicher Bericht von SpiegelTV im letzten Jahr.


(Youtube Direktlink)

Hier noch ein paar Fakten von der Seite „12 Kugeln – 12 Fragen“

# 8 Polizisten trafen auf einen Musikstudenten (24 Jahre, 184cm, 70kg).
# Tennessee war allein in seiner Wohnung. Es ging von ihm keine Gefahr gegenüber Dritten aus.
# Tennessee stand nicht unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol.
# Niemand wurde durch Tennessee verletzt.
# Der Gutachter der Staatsanwaltschaft hat die Leiche nicht auf Pfefferspray- oder Schlagstock-Einsatz untersucht. Er hat die Schusskanäle nicht skizzert. Er hat keine Gewebepräparationen erstellt.
# Tennessee hatte keine Spuren von Pfefferspray im Gesicht oder in den Augen. Es wurden bei ihm keine Hämatome (Blutergüsse) gefunden, die auf einen Schlagstockeinsatz hindeuten.
# Zwei Polizisten schossen jeweils ihr Magazin leer: 16 Schüsse. 12 Treffer. Sieben der Treffer kamen von hinten. Einer der letzten Schüsse ging ins Herz.
# Die Angehörigen wurden von der Polizei nicht über den Vorfall informiert. Sie erfuhren vom Tod Tennessees über Umwege aus der Presse.
# Die Polizisten wurden nach der Tat tagelang nicht zu dem Vorfall befragt.
# Die Staatsanwaltschaft sprach anfangs von Notwehr bzw. Nothilfe, wollte sich aber später hierzu nicht mehr äußern.
# Die Polizisten waren nach dem Vorfall wieder normal im Streifendienst tätig.

(Quelle)

Ende letzten Jahres dann kommt die Untersuchung der Staatsanwaltschaft zu einem vorläufigen Ende, da „kein genügender Anlass für eine Anklageerhebung bestehe“. Kurz darauf legten die Anwälte der Familie bei der Generalstaatsanwaltschaft des Oberlandesgericht Nürnberg Beschwerde ein

da die Ermittlungen seitens der Staatsantwaltschaft einseitig gewesen seien. Dieser wird vorgeworfen, sowohl die „Ergebnisse der ballistischen Untersuchung“ als auch einzelne Zeugenaussagen „völlig ignoriert“ zu haben. Es sei ungewöhnlich, dass belastende Spuren und Zeugenaussagen vernachlässigt würden und die „Staatsanwaltschaft ausschließlich den Verteidigererklärungen des Beschuldigten“ folge.

(Quelle)

Heute dann, am 26. 03. 2010 bestätigte das OLG Nürnberg die Einstellung des Verfahrens. Die Familie hat unmittelbar danach angekündigt, nun ein Klageerzwingungsverfahren zu starten.
Einer der letzten Versuche, sich mit wenig Geld und drei tatkräftigen Anwälten gegen einen intriganten in sich geschlossenen Rechtsstaat zu verteidigen. Die Verteidigung einzelner Beamter wiegt also selbst für ein Oberlandesgericht stärker als die objektive Aufklärung dieses Falles.
Wer da noch an einen schönen Rechtsstaat glauben kann, der möge mir das bitte mal erklären. Ich kann das nicht mehr.


Antworten

  1. Ist ja schrecklich dieser Fall. Hat mich interessiert, weil
    ich von einer ähnlichen Situation betroffen war. Ich wohnte
    auch in einer Wohngemeinschaft mit einem Mitmieter und wurde u.a. auch bedroht.
    Polizei war mehrmals da mit Waffen, sonst ist aber nichts passiert.
    Eventuell bin ich körperverletzt worden, weiß ich aber nicht mehr. Ich bin jetzt endgültig arbeitsunfähig.

    PS; Ich mache auch Musik….

  2. […] Willkür vs. Rechtsstaat Vor fast einem Jahr wurde in Regensburg Tennessee Eisenberg mit zwölf (!) Schüssen von der Polizei erschossen. Aufgrund einseitiger Ermittlung legte die Familie des Toten Beschwerde beim Oberlandesgericht Nürnberg ein, das das Verfahren vor wenigen Tagen einstellte. “Die Verteidigung einzelner Beamter wiegt also selbst für ein Oberlandesgericht stärker als die objektive Aufklärung dieses Falles”, schreibt dorager und fasst die Ungereimtheiten und Ermittlungsergebnisse zusammen. […]


Hinterlasse einen Kommentar

Kategorien