Verfasst von: dora | Juni 16, 2009

Die iranische Pfütze.

Es ist schon eine Weile her, hat aber an Aktualität nicht verloren. Da sagte ein Mensch, der den größten Teil seines Lebens Journalist war, und sich jetzt als Chefredakteur einer großen deutschen Zeitung seinen Lebensunterhalt verdient, einen sehr richtigen Satz.

„Journalisten haben Wissen, dass so breit ist, wie der Ozean und so tief wie eine Pfütze.“

An dieses Zitat muss ich jetzt, Jahre später wieder denken, wenn ich die Berichterstattung aus dem Iran verfolge.
Ich muss dazu sagen, dass ich diesen Artikel schon einige Tage im Kopf habe und nicht dazu gekommen bin. Inzwischen gibt es doch ein paar wenige Lichtblicke, die dieser Artikel nicht anspricht.

Laut dem Gross westlicher Berichterstattung ist folgendes passiert:
Im Iran waren Präsidentschaftswahlen. Die Wahlbeteiligung ist mit 85% erheblich zu den Zahlen der letzten Wahl gestiegen. Der konservative „Hardliner“ Mahmud Ahmadinedschad hat die Wahl offiziellen Angaben zufolge mit 62,6 % der Stimmen klar gewonnen. Sein ernsthaftester Widersacher auf politischer Ebene Mir Hussein Mussawi ist mit fast 34% klar unterlegen.
Vermutet wird nun aufgrund der klaren Ergebnisse Wahlbetrug auf Seiten Ahmadinedschads.

Nun zu den Tatsachen:
Im Iran waren Präsidentschaftswahlen.
Bei der letzten Wahl im Jahre 2005 kam es erst im zweiten Wahlgang zu einer klaren Entscheidung (damals zwischen Rafsandschānī und Ahmadinedschad). Aufgrund der damals nicht zur politischen Stimmung passenden Wahlergebnisse bildeten sich friedliche Proteste unter Studenten und vielen anderen jungen Wählern. Da sie in der Stichwahl keine wählbare Alternative mehr sahen, entschlossen sie sich, geschlossen nicht zu wählen. Aufgrund dessen sank die Wahlbeteiligung auf ein recht tiefes Niveau von 59,6 % (Traumwerte für die EU…). Da jetzt zur Wahl 2009 keine mit der letzten Wahl vergleichbaren Verhältnisse herrschten, kam es auch zu keinen Protesten gleich welcher Form. So ist es kaum verwunderlich, wenn die Beteiligung an dieser Wahl plötzlich so hoch ist. Wenn man dann auch noch hört „besonders junge Wähler und Studenten“ (gehört in irgendeinem Hörfunk, mir fehlt leider die Original-Quelle) hätten sich genau bei dieser Wahl engagiert, sehe ich darin ein klar missverstandenes Datenblatt.

Zweitens. Wenn man sich einmal die Bevölkerungsstruktur im Iran anschaut, dann merkt man schnell, dass es mehr gibt, als nur den Norden Irans mit Teheran und einigen anderen großen Millionenstädten. Der Iran ist ein mehr als viermal so großes Land wie Deutschland und hat immerhin grob 70 Millionen Einwohner. Die Millionenstädte, in denen die Meinungen produziert werden, die wir hier im Westen mitbekommen, spielen für einen Überblick über die iranische Bevölkerung eine recht geringe Rolle. Durch die gigantischen Ausmaße des Landes und eine unterdurchschnittliche Zivilisation kommt man schnell auf die richtige Tatsache, dass der Iran ein im wesentlichen von einer ländlichen Bevölkerung geprägtes Land ist. Und eines haben die Landbewohner dieser Erde wohl alle gemeinsam: Sie sind stur konservativ und meist auch noch extrem religiös. Was für Bayern gilt hat im Iran nicht weniger zu gelten. Wenn nun eine von mir willkürlich geschätzte aber wohl noch untertriebene Zahl von 60% der Iraner in sehr ruralen Gegenden lebt, hat ein Verteidiger des Islamischen Gottesstaates und ein Gegner des Westens wie Ahmadinedschad es ist schonmal mindestens 50% dieser Stimmen. Ein paar Konservative aus den Städten noch dazu (wenngleich es sicherlich deutlich weniger sind als auf dem Land) und schon wundert mich die ach so riesige Zahl von 62% kein bisschen mehr. Ich werde mich die nächsten Stunden und Tage gerne eines besseren belehren lassen und zweitens Beabsichtige ich keineswegs die Ebnung des Weges für einen potentiellen Diktator wie Ahmadinedschad es ohne Zweifel ist, aber meine Meinung ist: Es gab keine Wahlmanipulation bei dieser Wahl. Wenn doch, dann nur in sehr geringem Ausmaß. Mahmud Ahmadinedschad ist der klare Sieger dieser Präsidentschaftswahl.

Und noch ein letzter Punkt: Mussawi, der von vielen als der Konkurrent gegen Ahmadinedschad gesehen, wäre kaum besser gewesen. Ich nehme es keinem Übel, wenn er das iranische Politsystem nicht kennt. Ausnahmen sind aber wieder mal die Journalisten. Wer darüber schreibt hat gefälligst Ahnung zu haben.
Vielleicht wollten allzuviele schon wieder in Obamania verfallen oder es hatte andere Gründe. Jedenfalls wird Mussawi als die Lichtfigur dargestellt, die alles besser gemacht hätte als sein Konkurrent mit dem langen Namen. Tatsache ist leider, dass der Iran eine sogenannte Islamische Republik ist. Das heißt es ist quasi eine Demokratie, jedoch unter der Fuchtel des Islam (hierzulande als „Islamischer Gottesstaat“ zu lesen). Als allgemeine Gesetzgebung ist die Sharia eingebunden. Ein islamisches Werk voller Richtlinien und Strafmaßen die den Worten des Koran folgen. Weiterhin gibt es den sogenannten Wächterrat. Dieser hat quasi gottgleichen Status in einer Islamischen Republik wie dem Iran. Die Gewaltenteilung in Form von Legislative, Exekutive und Judikative existiert zwar pro forma, liegt aber vollkommen in der Hand des Richterrats und ist somit unwirksam. Es kann sich jeder Wahlberechtigte zum iranischen Präsidentschaftskandidaten bewerben. Jedoch zugelassen wird man nur durch den selben Wächterrat. Dieser besteht zufälligerweise aus einer Hälfte konservativer Juristen und aus einer anderen Hälfte muslimischer Geistlicher (Bei Interesse an dem ganzen System weiß Wikipedia jede Menge mehr. War wirklich Interessant bei meiner Recherche.). Dieses Jahr haben sich 475 Personen zum Präsidentschaftsamt beworben. Zugelassen wurden ganze vier (!). Jeder einzelne dieser vier Kandidaten wieß natürlich einen einwandfreien konservativ-religiösen Lebenslauf auf und hätte der Islamischen Republik sicher keine Systemfrage gestellt. Auch, und ich betone auch Mussawi nicht.

So, jetzt sitzen wir da. Wissen ein wenig mehr von der Welt und fragen uns, warum die Menschen im Iran gerade Protestieren. Ich unterstelle den Menschen dort sicherlich kein Unwissen über die erzählten Dinge. Warum aber protestieren über zwei Millionen Menschen in der Hauptstadt Teheran inklusive teils schon blutigen Kämpfen mit der Polizei für eine Wiederholung der Wahl und wollen auf angeblichen Wahlbetrug aufmerksam machen? Da diese Protestierenden zumeist eben Stadtbewohner und intellektuelle Menschen sind, die größeren Zugriff auf moderne Medien haben als die Landbevölkerung haben, vermute ich vor allem eines: Sie sind das System satt. Der moderne Urban-Iraner ist lang nicht mehr so der urfromme Muslim und kennt westliche Demokratie sehr gut. Er ist es leid in einer Quasi-Diktatur zu leben bei der auf Grund der unumstößlichen Macht der Ayatollahs selbst die Präsidentschaftswahl eigentlich überflüssig ist. Und eines der wenigen Mittel die ihm zum Protest bleiben ist die Anzweiflung der „wichtigsten Wahl“ im Land.

Wann ist die Zeit, in der der Westen diesmal Partei ergreift? Werden wir trotz aller furchtbarer Terrorgefahr politischen Druck gegen diese Systeme aufbauen? Oder wollen wir wieder die Machthaber mit Waffenlieferungen gegen die Aufständischen unterstützen und ein Jahrzehnt später einen Krieg gegen sie führen und uns fragen, warum das Land so viel Geld und Waffen hat?

Ich weiß es nicht. Ich habe nur eine Meinung dazu. Und die wollte mal gesagt werden.

Nachtrag: Gerade noch einen Tweet von Cem Basman gelesen, der hier noch dazu muss:

„Das, was jetzt im Iran passiert, wird das Land für immer verändern.“

Wir werden sehen…


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